Bayer 04 Leverkusen – SV Darmstadt 98 3:2 (1:0)

Erinnerungen an Leverkusen waren bis zum letzten Wochenende eigentlich grundlegend positiv. Der erste Bundesliga-Auswärtssieg der Bundesliga-Neuzeit war unbestritten eines der frühen Highlights in der letzten Saison. Dazu ein wirklich guter Auftritt der Lilienfans auf den Rängen und das starke Gefühl auch im Oberhaus einige Mannschaften und Fanszenen ein wenig aufmischen zu können. Dieses Gefühl scheint knapp 1,5 Jahre nach diesem Erfolg vollständig verflogen zu sein. Das betrifft viele Bereiche des Vereins, nicht nur den sportlichen. Angefangen bei der Zahl der Auswärtsfahrer (München, Dortmund, Berlin und Köln natürlich ausgenommen, denn da kann man ja ein schönes Suff-Wochenende verbringen und das Lilienspiel ganz nebenbei mitnehmen…) über den Support bis hin zur unbedingten Geschlossenheit, die uns derzeit sowohl auf dem Feld als auch den Zuschauerrängen abhanden gekommen ist. Und über allem steht die absolute Ablehnung des gesamten Bundesliga-Zirkus mitsamt seiner Vielzahl an ekelhaften Begleiterscheinungen, sowie die unfassbare Anzahl an Trotteln und Internet-Helden, die ihre völlig überzogene Erwartungshaltung und ihr Konsumverhalten mit ans Bölle geschleppt haben. Kurzum: Darmstadt 98 und seine Fanszene stecken scheinbar in einer fetten Herbst-Depression.

Der Tag begann dementsprechend mit der Abfahrt mehrerer Busse im strömenden November-Regen. Immerhin konnte das Stadion in Leverkusen recht frühzeitig trocken erreicht und die Sicherheitskontrollen passiert werden. Sofort ging es an die Vorbereitungen der heutigen Choreografie und der Beflaggung des Zauns, was ebenfalls recht problemlos funktionierte und man viel Zeit hatte um sich auf das Spiel einzustimmen. Die ersten Gesänge gab es dementsprechend früh und der einzige Vorteil an diesem unförmigen Gästeblock – die Akustik – wurde schon mal angetestet. Als die Mannschaften aufs Feld kamen, wurde dann eine simple Choreo gezeigt. Es wäre ein Leichtes das gezeigte Bild jetzt schön zureden und als geplanten Wende-Effekt darzustellen. Seien wir an dieser Stelle aber lieber ehrlich zu uns selbst und allen Lesern unserer Berichte: Ja, uns ist ein grober Schnitzer unterlaufen. Wer sich schonmal genauer mit einer runden Blockfahne mit Lilien-Motiv beschäftigt hat, dem dürfte auffallen, dass oben und unten relativ ähnlich aussehen und die Blockfahne daher falsch ausgelegt und hoch gezogen wurde. Ein Fehler, der klar auf unsere Kappe geht und uns als aktive Fanszene maßlos ärgert. Letztendlich konnte der Fauxpas aber recht gut ausgebügelt werden, indem besagter „Dreh-Effekt“ kurzfristig zustande kam. Die Fahne drehte sich also in die richtige Richtung und als die Lilie richtig herum war, wurde das ganze mit Pyrotechnik garniert. Eigentlich also schlussendlich ein gutes Bild, in das man auch eine gewisse (aber eben ungewollte) Aussage rein interpretieren könnte: Das Bild, das die Lilien gerade abgeben, gerade rücken, den Saisonverlauf ins Positive drehen und dadurch den Funken auch endlich auf die Ränge übertragen! Vielleicht ist dies ein wenig zu viel der Interpretation. Uns ist es allemal lieber, wenn bei solchen Sachen menschliche Fehler passieren, als uns Vorstellungen vom perfekt inszenierten Bundesliga-Event anzuschließen. Gerade das macht unseren Verein und die Fanszene ja auch ein Stück weit aus. Wer sich also darüber im Netz das Maul zerreißen will, soll das gerne tun. Zumeist sind das ja meist Personen, die mit der Organisation und Umsetzung von Choreos so viel Erfahrung haben, wie Leverkusen Meistertitel in der Vitrine. Wir stehen drüber und werden unsere eigenen Schlüsse daraus ziehen.

Das Spiel begann also und man hatte den Eindruck, die Lilien gehen in den ersten Spielminuten wieder mit der gleichen Entschlossenheit wie im letzten Jahr zu Werke. Diese verpuffte aber mit zunehmender Spieldauer und es kam zu einigen Unaufmerksamkeiten, die die Führung für Leverkusen einbrachten. Deren Heimkurve war heute (mit einiger Unterstützung eines krisengebeutelten Frankfurter Vorstadtklubs) deutlich besser aufgelegt als bei unserem letzten Besuch. Nichts, was einen jetzt vom Hocker gerissen hätte, aber zumindest konnte man sie diesmal häufiger überhaupt wahrnehmen. Es könnte allerdings auch an der Trägheit im Gästeblock gelegen haben. Wir werden es wohl nie verstehen, wie sich manche Fans auf den Weg zu einem Auswärtsspiel machen und dann so tun, als ob sie daheim vorm Fernseher sitzen würden. Dieses Phänomen ist ebenfalls dieses Jahr viel stärker ausgeprägt und geht einem einfach nur noch auf den Keks. Nur phasenweise konnte man sich davon lösen und den Gästeblock geschlossen zum Support animieren. In der zweiten Hälfte wurde dies dann mit einem dritten Megaphon etwas weiter oben und einer deutlich engagierteren Lilien-Elf etwas besser, war aber dennoch viel zu weit vom Auftritt letztes Jahr entfernt.

Das erste Stimmungshoch konnte nach dem Ausgleich durch Colak verbucht werden, der kurz nach der Pause völlig überraschend nach schöner Vorarbeit von Heller einnetzte und damit Werbung für sich im Sturmzentrum statt des erneut schwachen Sven Schipplock machte. Anstatt einzubrechen setzten die Gastgeber nun aber zum Sturmlauf an und gerade Julian Brandt hatte dabei häufig deutlich zu viele Freiheiten. Nach einem Stellungsfehler von Guwara stand es alsbald 2:1 und nach einem Eckball folgte gar das 3:1 für die Werkself. Nun war ein bisschen Darmstädter Galgenhumor im Gästeblock spürbar. „Deutscher Meister wird nur der SVD!“ und andere Dinge wurden gesungen, um sich die drohende Niederlage wenigstens etwas schön zu singen. Letztendlich ist es für uns alle doch wichtig, dass wir auch im Fall einer Niederlage (und am Ende eventuell sogar des Abstiegs) unseren Spaß und Stolz auf den Verein und die letzten Jahre Höhenflug nicht verlieren. Das macht uns aus und wer sich ausschließlich auf Auswärtsspiele begibt, um gegen Spieler und Trainer zu pöbeln, der möge sich doch bitte mal fragen, was man selbst während der 90 Minuten gegeben hat um die Mannschaft zu unterstützen? Die Spieler gaben sich zumindest nicht geschlagen und zeigten etwas von der oft vermissten Mentalität in der Schlussphase. Und so gelang Vrancic ein ziemlich eigenartiger Kopfballtreffer kurz vor Schluss. Die leise Hoffnung auf einen verrückten Punktgewinn wurde lautstark deutlich gemacht und nochmal für fünf Minuten zum geschlossenen Dauergesang angesetzt. Es sollte aber nichts mehr einbringen, doch die Mannschaft wurde immerhin für die Art und Weise abgeklatscht (NICHT gefeiert!!! Für alle, die meinen, dass man nach Niederlagen die Spieler mit Lob überschütten würde. Hier geht es darum, dass wir die Köpfe der Spieler weiterhin oben halten und ihnen zeigen, dass die Sache noch nicht gegessen ist. Dafür werden auch meist die passenden Gesänge ausgewählt und keineswegs der „Feier-Modus“ angeschaltet. Wer verdiente Stützen der letzten Jahre lieber auspfeifen möchte, hat das Erfolgsrezept unseres Aufschwungs anscheinend bis heute nicht verinnerlicht.)

Zerknirscht ging es dann auf den Rückweg, der ebenfalls noch einen absoluten Dämpfer für alle Busfahrenden bereit hielt. Auf einer Raststätte kamen mehrere Busse gleichzeitig an, was zu einem knallvollen Verkaufsraum, völlig überfordertem Personal und einigen wenigen, die sich diese Situation zu Nutze machten, führte. Die nachträglich von der Presse erfundenen Formulierungen wie „Randale“, „Plünderungen“ und „Frust-Krawall“ sind weiter von der Realität entfernt als Offenbach von der Bundesliga. Solche Sachen passieren nahezu wöchentlich auf vielen Raststätten und wenn die Angestellten jeden Versuch von Selbstregulierung kategorisch ablehnen und die Situation zusätzlich eskalieren lassen indem vollkommen unschuldige Fans des Diebstahls bezichtigt und utopisch hohe Summen als gestohlen gemeldet werden, dann ist das anscheinend eine gute Grundlage für einen reißerischen Presse-Artikel in der örtlichen Dorf-Journaille. Leider blieb es nicht nur dabei, sondern man musste sich auch noch einer dreistündigen Kontrolle von zwei kompletten Bussen über sich ergehen lassen, wo weder was gefunden wurde noch irgendjemand aus der Reihe fiel. Menschen, die sich hier in gutbürgerlicher Manier das Maul zerreißen, können sich einerseits sicher sein, dass auch wir als Fanszene intern solche Vorfälle aufarbeiten und andererseits das ganze deutlich besser einschätzen können als so mancher Dorf-Journalist auf Quotenfang. Alles in allem dennoch ein beschissener Abschluss eines deutlich gebrauchten Tages. Um wieder Spaß an Bundesliga-Auswärtsspielen im Jahr 2016 zu haben, müssen sich in der Länderspielpause viele Dinge in Darmstadt deutlich ändern.

Die Bilder vom Spieltag folgen auf der Seite der Usual Suspects