Der Fußball geht wieder los, besser gesagt: Am Wochenende spielen die Bundesligen weiter. Nicht vor Zuschauern und nicht für Zuschauer, sondern einzig aus wirtschaftlichen Gründen. Wir lehnen Geisterspiele weiterhin grundsätzlich ab. Ihnen fehlt alles, was den Fußball zu dem Sport gemacht haben, in den wir uns alle mal verliebt haben: Der Glaube, Einfluss auf das Spiel nehmen zu können, die Spontanität, die Gemeinschaft, die Kraft, die von vollbesetzten Blöcken und Stadien ausgeht, der Zauber, der bei großen Flutlichtspielen in der Luft liegt. Das, was wir jetzt erleben werden, ist vielmehr das, worauf unwissende Außenstehende den Fußball schon immer beschränkt haben: 22 Menschen, die einem Ball nachjagen. Sonst nichts.
Über die moralischen Zusammenhänge wurden in den letzten Wochen schon diverse Seiten gefüllt, die wir an dieser Stelle nicht mehr aufblättern wollen. Was wir verstehen, ist, dass selbst so ein vorsichtig wirtschaftender Verein wie unserer perspektivisch durch die wegbrechenden Einnahmen Probleme haben würde. Wir wissen, dass es rund um den Fußball viele Arbeitsplätze zu erhalten gibt und sprechen dabei von Leuten wie Dir und uns, nicht von hochbezahlten Profikickern. Das sind allerdings schon die einzigen beiden Gründe, die dafür sprechen, Geisterspiele notgedrungen und mit großen Bauschmerzen hinzunehmen. Dem gegenüber steht ein System, das mit Millionen nur so um sich wirft, nur wenige Profiteure kennt und dessen Teilnehmer teilweise keine zwei Monate zu überleben in der Lage sind, wenn mal nicht alles nach Plan läuft.
Die meisten von Euch dürften sich schonmal gefragt haben, ob das noch Euer Fußball ist? Spätestens jetzt wird einem die Entwicklung vom Volkssport hin zum Industriezweig wie unter dem Brennglas vor Augen geführt. Ob die Restsaison auf Sand gebaut ist, oder tatsächlich zu Ende gespielt werden kann, ist uns dabei fast egal. Wirklich wichtig, gar elementar, werden die Lehren sein, die aus dieser Erfahrung gezogen werden. Wohin wird die Reise gehen? Wenn man Karl-Heinz Rummenigge stolz schwärmen hört, dass die Bundesliga durch das Alleinstellungsmerkmal der kommenden Wochen nun ein „internationales Milliardenpublikum“ vor die Bildschirme locken wird, kann einem schon wieder schlecht werden. Wir können das Geschwafel vom „Erschließen neuer Märkte“ nicht mehr hören. Warum braucht der Fußball immer mehr Kohle? Damit die gleichen Spieler und die gleichen Berater noch eine Million mehr für die gleiche Leistung kassieren können? Hier gilt es endlich die Augen zu öffnen und anzusetzen! Der Fußball sollte seine Ausgabenseite in den Griff kriegen, statt immer weiter und auf dem Rücken der Stadionbesucher eine Zitrone nach der anderen auszupressen um flüssig zu bleiben.
Hier sehen wir auch unseren Verein in der Pflicht. In Sachen vorsichtiges Wirtschaften haben wir zum Glück in den vergangenen Jahren einiges richtig gemacht, zum Abkassieren wechselt man als Spieler auch nicht unbedingt zum SVD – und dennoch spüren auch wir in Darmstadt die allgemeine Entwicklung des Fußballs, wenngleich sie anderswo deutlich stärker ausgeprägt sein mag. Wir wollen, dass sich der SV 98 in den zuständigen Gremien für eine Gesundung des Fußballs einsetzt:
- Dazu gehört nicht nur der Erhalt der 50+1-Regel, sondern auch die lückenlose Umsetzung dieser, ohne jede Ausnahme!
- Dazu gehört, Mittel zu finden, um Beraterhonorare und Spielergehälter vernünftig zu deckeln.
- Dazu gehört, der sozialen Verantwortung des Fußballs gerecht zu werden und ihn für alle Bevölkerungsschichten zugänglich zu lassen – gleichzeitig aber auch soziale Verantwortung und Maß halten vorzuleben.
- Dazu gehört eine Eigenkapitalquote.
- Und dazu gehört eine klare Aussage: „Wir spielen in erster Linie für unsere Fans im Stadion!“.
Wir sind Idealisten. Aber wir sind auch nicht blind. Uns ist bewusst, dass es einen Fußball, in dem kein Geld fließt, nie wieder geben wird. Wir sind uns bewusst, dass es viele Faktoren abzuwägen gilt, doch eines muss die oberste Prämisse bleiben: Wenn der Fußball weiterhin Rückhalt in der Bevölkerung haben will, wenn er der „Volkssport Nummer 1“ bleiben will, dann muss er sich JETZT auf seine eigentlichen Werte rückbesinnen und gesund schrumpfen. Die Chance ist da. Wir befinden uns in Zeiten, in denen die Floskel „das geht nicht“ aus dem Wortschatz temporär gestrichen zu sein scheint – also ergreift die Gelegenheit!
Was heißt das für unsere Lilien? Solche Forderungen aufzustellen ist zunächst ganz einfach – man muss sich aber auch bewusst sein, was das für unseren Fußball und für unseren Verein heißt. Welchen Weg wollen wir einschlagen?
Wir treten dafür ein, dass die Lilien wieder Sandkorn im Getriebe werden. Lasst uns diese Forderungen stellen, aber egal, ob sie flächendeckend umgesetzt werden, oder nicht: Lasst zumindest uns als Verein mit allen Mitgliedern danach leben! Lasst uns unsere eigenen Grenzen ziehen: Was darf ein Kicker bei uns verdienen? Zahlen wir überhaupt noch Ablösesummen? Können wir unser NLZ insofern stärken, dass wir endlich mehr Jungs aus der eigenen Jugend in unserem Team sehen dürfen? Dazu gehört aber auch Geduld und Mut auf den Rängen: Nur, wenn wir nicht permanent darüber schwätzen, aufsteigen zu wollen, nur, wenn wir nicht anfangen zu pfeifen, weil wir so hin- und wieder unter die Räder kommen, nur, wenn wir den Trainer nicht dafür in der Luft zerpflücken, dass er in dem wichtigen Spiel einfach mal einen unerfahrenen 18-jährigen von Anfang an stellt, nur dann kann ein solches System funktionieren. Ob es von Erfolg gekrönt wird, ist genauso offen, wie das Ergebnis vor jedem Fußballspiel – aber selbst, wenn es nicht klappt, könnten wir aufrecht in den Spiegel schauen und sagen „dafür ist es unser eigener, Darmstädter Weg – also lasst uns wieder angreifen!“
Wir sind bereit, diesen Weg zu gehen.
Südtribüne Darmstadt